Freitag, 29. März 2013

Die Geschichte von dem Hute

Die Geschichte von dem Hute. 

Das erste Buch. 

Der erste, der mit kluger Hand,
Der Männer Schmuck, den Hut erfand, 
Trug seinen Hut unaufgeschlagen;
Die Krempen hingen flach herab; 
Und dennoch wußt er ihn zu tragen. 
Daß ihm der Hut ein Ansehn gab. 

Er starb, und ließ bey seinem Sterben 
Den runden Hut dem nächsten Erben. 

Der Erbe weis den runden Hut 
Nicht recht gemächlich anzugreifen; 
Er sinnt, und wagt es kurz und gut, 
Er wagts, zwo Krempen auszusteifen, 
Drauf läßt er sich dem Volke sehn; 
Das Volk bleibt vor Verwundrung siehn, 
Und schreit: Nun läßt der Hut erst schön! 

Er starb, und ließ bey seinem Sterben 
Den aufgesteiften Hut dem Erben. 

Der Erbe nimmt den Hut, und schmehlt. 
Ich, spricht er, sehe wohl, was fehlt.
Er setzte drauf mit weisem Muthe, 
Die dritte Krempe zu dem Hute. 
O, rief das Volk, der hat Verstand! 
Seht, was ein Sterblicher erfand ! 
Er, er erhöht sein Vaterland. 

Er starb, und ließ bey seinem Sterben 
Den dreyfach spitzen Hut dem Erben. 

Der Hut war freylich nicht mehr rein; 
Doch sagt, wie könnt es anders seyn?
Er gieng schon durch die vierten Hände. 
Der Erbe färbt ihn schwarz, damit er was erfände. 
Beglückter Einfall! rief die Stadt, 
So weit sah keiner noch, als der gesehen hat. 
Ein weisser Hut ließ lächerlich. 
Schwarz, Brüder, schwarz ! so schickt es sich. 

Er starb, und ließ bey seinem Sterben 
Den schwarzen Hut dem nächsten Erben. 

Der Erbe trägt ihn in sein Haus, 
Und sieht, er ist sehr abgetragen; 
Er sinnt, und sinnt das Kunststück aus. 
Ihn über einen Stock zu schlagen. 
Durch heisse Bürsten wird er rein;. 
Er faßt ihn gar mit Schnüren ein. 
Nun geht re aus, und alle fchreyen:
Was sehn wir? Sind es Zaubereyen? 
Ein neuer Hut! O glücklich Land, 
Wo Wahn und Finsterniß verschwinden! 
Mehr kann kein Sterblicher erfinden, 
Als dieser große Geist erfand. 

Er starb, und ließ bey seinem Sterben 
Den umgewandten Hut dem Erben.

Erfindung macht die Künstler groß,
Und bey der Nachwelt unvergessen; 
Der Erbe reißt die Schnüre los, 
Umzieht den Hut mit goldnen Dressen, 
Verherrlicht ihn durch einen Knopf, 
Und drückt ihn seitwerts auf den Kopf. 
Ihn steht das Volk, und taumelt vor Vergnügen. 
Nun ist die Kunst erst hoch gestiegen! 
IHM, schrie es, ihm allein ist Witz und Geist verliehn! 
Nichts sind die andern gegen ihn! 

Er starb, und ließ bey seinem Sterben 
Den eingefaßten Hut dem Erben. 
Und jedesmal ward die erfundne Tracht 
Im ganzen Lande nachgemacht

Was mit dem Hute sich noch ferner zugetragen, 
Will ich im zweyten Buche sagen. 
Der Erbe ließ ihm nie die vorige Gestalt. 
Das Außenwerk ward neu, er selbst, der Hut, blieb alt. 
Und, daß ichs kurz zusammen zieh, 
Es ging dem Hute fast, wie der Philosophie.

Quelle: Fabeln und Erzählungen: Bd. 1 Christian Fürchtegott Gellert, 1763

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen