Dienstag, 14. Juni 2022

Benimmregeln aus dem Jahr 1924

Hedwig Dransfeld "Der gute Ton für die heranwachsende Jugend" Ausschnitt aus dem Kapitel "Bei Tische" 

Das Schlürfen und Kauen ist durchaus unanständig und sollte schon den kleinen Kindern mit äußerster Strenge abgewöhnt werden. Auch bemühe man sich, beim Essen die Lippen soviel wie möglich geschlossen zu halten und nie zu sprechen oder zu lachen, solange man den Mund voll Speisen hat; denn das widerstreitet nicht nur dem Anstand, sondern ist auch der Gesundheit schädlich, da auf solche Weise Speisen und Getränke in die Luftröhre gelangen können. – Ein noch schwereres Vergehen gegen den guten Ton würde es sein, wenn man halbzerkaute Speisen auf den Teller zurücklegen oder bei Tisch mit den Fingern, der Gabel oder anderen Gegenständen in den Zähnen herumstochern wollte. Für dieses unanständige Benehmen gibt es ganz und gar keine Entschuldigung. Selbst wenn man hohle Zähne hätte und deshalb bis zur Reinigung derselben eine kleine Zeitlang Schmerzen ausstehen müßte, so wäre das durchaus kein Grund, seine Tischgenossen auf diese Weise abzustoßen oder wohl gar Ekel in ihnen zu erregen.

... 

Unterbricht man das Essen, indem man etwa auf irgend eine Schüssel wartet oder etwas erzählt, so lege man Messer und Gabel solange auf den Teller. Ganz unstatthaft wäre es, dieselben mit dem Griff auf den Tisch zu stemmen, so daß die Spitze hoch emporragt; denn dadurch bekäme der friedliche Esser leicht ein kriegerisches Aussehen, das wenig zur Erbauung der Tischgenossen beiträgt. Die Rücksicht auf die letzteren verlangt es auch, daß man mit dem Besteck nicht zu laut und fortwährend klappert und in den Pausen nicht mit demselben oder mit dem Serviettenring spielt. Ein solches Benehmen kann unangenehm sein; geradezu unerträglich aber ist es, wenn gewisse Personen in Gedanken ihr Brot zerkrümmeln, Kügelchen daraus formen und dieselben wohl gar über den Tisch rollen. Soviel müssen wir immer auf uns achten, daß unsere Hände ihre ruhige, anständige Haltung beibehalten, selbst wenn Geist und Gedanken zuweilen abwesend sind. 

Na denn, guten Appetit

(Rechtschreibung wurde unverändert übernommen)

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